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„Romy, heute“
Szenische Lesung für zwei mit Projektion, im Kino Rex Bern zur Romy Schneider-Filmreihe, 03/19
Prolog
Romy, die Berühmte, die Schöne, die Zarte
Romy, die Trinkende, die Unschuldige, die Rauchende
Romy, die Wilde, die Begehrte, die Liebende
Romy, die Suchende, die Leidende, die Süchtige
Romy, die Unglückliche
Romy, die Verführerische
Romy, die Zweifelnde
Romy, die Sterbende
Erzähler
Boissy-sans-Avoir an einem Frühlingsnachmittag im Jahr 2018. In der kleinen Gemeinde nördlich unweit von Paris sitzt Rosemarie Magdalena Albach im Garten ihres Hauses und genießt die ersten wärmenden Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht.
Eingepackt in eine Decke, mit einem Foulard über dem Kopf und Sonnenbrille, neben sich eine große hölzerne Kiste, aus der sie abwechselnd Bündel von Fotos und Briefen hervorkramt, auf ihrem Schoß durchblättert und sie sorgfältig neu sortiert.
Romy
„Etienne? Etienne, wären Sie so freundlich, mir einen Kaffee zu bringen? Merci. Ah, und die Bronze-Schatulle auf der Kommode oben rechts.“
Erzähler
Etienne nickt wissend und eilt davon.
Etienne
Jeden Nachmittag das gleiche Spiel: Madame durchforstet ihre Vergangenheit, ordnet sie neu und ergießt sich dabei in Erinnerungen - manchmal leise, manchmal etwas lauter.
Meistens muss er, Etienne Hulard, ihr zuhören. Er kennt ihr Leben auswendig, könnte Biographien schreiben, wenn es diese nicht schon mannigfaltig gäbe, und könnte alles synchron mitsprechen, wäre ihr Leben ein Film. Seit 17 Jahren ist er ihr Hausdiener, Gärtner, Koch, Fahrer und Ratgeber. Und er ist der erste Hausangestellte, der es geschafft hat, NICHT auch ihr Liebhaber zu sein.
Manchmal bekommt sie Besuch. Dann ist er erlöst und die Gäste müssen oder dürfen ihren Monologen lauschen.
Morgen soll ihre Tochter mit Familie anreisen. Normalerweise übernimmt Sarah dann den Haushalt und kümmert sich rührend um ihre Mutter – nicht ohne einen handfesten Streit pro Tag. Dann hat er frei. Doch Sarah hat vor sechs Wochen ihre Tochter zur Welt gebracht. Nun muss er für alle zusammen kochen. Ihr Mann Gil bleibt meistens nur zum Mittagessen, raucht mit ihm ein paar Zigaretten und reist wieder ab nach Paris, wo er ein vielbeschäftigter Regisseur ist.
Gil erträgt seine Schwiegermutter und das Haus nur für ein paar Stunden.
Sie redet ihm zu viel, und das Haus ist ihm zu vollgestopft.
„Madame, ihr Kaffee - und die Schatulle.“
Auf dem Silbertablett steht nebst Kaffee selbstredend auch ein Glas Cognac, welches Madame stets zuerst hinunterstürzt, zusammen mit den Vitamin-Tabletten. Ihrem Ritual folgend öffnet sie dann die Schatulle, nimmt das Foto ihres Sohnes David heraus und betrachtet es lange.
Ab dann ist er, Etienne, ihr Zuhörer.
Romy
„Wissen Sie, wäre ich damals nicht so viel weg und mit mir selbst beschäftigt gewesen, David wäre noch am Leben. Diese dauernden Proben, Termine, meine Sucht, die ewige Trauer über unglückliche Liebschaften...
Ein Leben musste dafür draufgehen.
Hätte ich nicht zugelassen, dass David bei Daniels Eltern leben darf, er hätte nie diesen Zaun beklettert. Ein Zaun! Noch dazu mit spitzen Zacken. Was für eine abartige Idee. Schauen Sie doch, mein Grundstück hier hat keinen Zaun, es braucht keinen. Die Journalisten lassen mich zum Glück in Ruhe, für die bin ich nicht mehr interessant. Die haben sich ja auch genügend meines Lebens bedient... gut, ich hab's auch zugelassen.
Aber wer einen Zaun hat, der hat etwas zu verbergen. Ein Leben hinter einem Zaun ist kein glückliches Leben, der Zaun versperrt die Sicht nach draußen. Und von draußen nach drinnen. Es findet kein Austausch statt, das Leben drinnen verkümmert...“
Etienne
„Aber Madame, Ihr Sohn war doch gerne dort, vergessen Sie das nicht.“
Romy
„Na, er war gerne dort, weil ich ihm keine gute Mutter war. Er war Spielball, erst zwischen mir und seinem Vater, dann zwischen mir und Daniel.
Und zuletzt habe ich ihn noch als Partnerersatz benutzt!“
Etienne
„Madame, machen Sie sich nicht solche Vorwürfe, es bringt doch nichts. Freuen Sie sich lieber an Ihrer Tochter. Die lebt und hat gerade Ihr Enkelkind auf die Welt gebracht hat.“
Romy
„Ja. Sie kriegt erstaunlicherweise das hin, was mir nie gelungen ist:
Ein normales Leben zu führen als Schauspielerin und Privatperson, mit einer glücklichen Liebe.“
Etienne
„Was heißt denn 'normal', Madame?“
Romy
„Normal heißt, normal eben... Man steht morgens auf – wohl bemerkt morgens, nicht erst am Nachmittag. Man frühstückt, liest die Zeitung, und stellt sich den Herausforderungen des Tages.
Ist man gerade an einer Rolle dran, übt man sie, oder geht zu den Proben oder Dreharbeiten. Und wenn man an keinem Film arbeitet, geht man anderen Dingen nach.
Eben einem Alltag. Wie einkaufen, kochen, Freunde einladen, sich um sein Kind kümmern, mit ihm Schularbeiten machen. Man liest ein Buch, geht spazieren, kocht Obst ein und Konfitüre. Man lebt einfach. Das ist 'normal'.
Ich, ich habe nie normal gelebt, immer neben der Normalität existiert.
In meinen Rollen anderer Frauen, da hab ich gelebt. Ich hab mich in sie verschwendet. So intensiv, dass ich nicht mehr herauskam.
Wenn nicht gerade ein Liebhaber zur Stelle war, bin ich mit der Rolle ins Bett. Und beim Aufwachen „Huch, wer ist das denn? Ist das Leni, Elsa, Alain, Marie, Rosalie, Henry, Clara, Bruno, Manuela oder Simone? Und wo bin ich? Schwups, Tabletten rein und mich nochmal umgedreht. Beim nächsten Erwachen wurde es schon wieder dunkel. Wie konnte man da noch Zeit finden für 'etwas Normales'? Die gab es nicht, diese Zeit.
Etienne
„Aber jetzt nehmen Sie sich diese Zeit ja, Madame. Sie setzen sich ein für junge Schauspielerinnen im Kampf gegen Chauvinismus am Filmset, Sie schreiben, und Sie kreieren in den letzten Jahren formidable Konfitüren.
Das ist doch ein schöner Alltag, nicht wahr?“
Romy
„Jaja, endlich! Sonst hätte ich nicht weiterleben können.
Die letzten Jahre der Schauspielerei waren qualvoll, ich konnte nicht mehr. Die Regisseure freuten sich an meinem Zerfall, sie besetzten ihre fertigsten, traurigsten Figuren mit mir. Meinen Körper wollte niemand mehr sehen, ich ja auch nicht. Und eine lachende Romy gab es sowieso nicht mehr.
Es ist gut, habe ich einen Schlussstrich gezogen!
Etienne, bringen Sie mir noch einen Cognac, seien Sie so nett.“
Etienne
„Madame, besser nicht. Ihre Niere, Sie sollen doch aufpassen.“
Romy
„Ach, meine Niere – was interessiert mich meine Niere. Die ist doch ehe schon kaputt. Sie erträgt mich seit 80 Jahren, Etienne, 80 Jahre. Können Sie sich das vorstellen? Auch wenn ich vielleicht noch nicht danach aussehe? Und können Sie sich auch vorstellen, dass ich mich JETZT an jedem Tag freuen möchte, ohne an meine Niere denken zu müssen? Und der Cognac, der ist meine Freude, die dürfen Sie mir nicht nehmen. Trinken Sie mit mir ein Schlückchen...“
Etienne
Er schenkt ihr widerwillig nach. Auch das gebietet das Ritual.
Und sein Anstand.
Madame Albach fingert wieder in der Holzkiste. Diesmal so intensiv, dass sie mit ihrem Stuhl fast zur Seite kippt.
Romy
„Sehen Sie mal, die wenigen Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, die noch in meinem Besitz sind... Hier, mein Drama mit Heinrich Böll '76. Herrlich, ich war so schüchtern damals, dass ich die Briefe an ihn nie abschickte.
Warum nur? Sie sind gut, die Dreharbeiten zu „Gruppenbild mit Dame“ wären bestimmt anders gelaufen und das Treffen mit ihm aufregender gewesen... Lesen Sie doch mal vor, was ich ihm damals schrieb:
Brief an Böll, S. 230-231
Romy
„Das hab ich geschrieben, mein Lieber... Lesen Sie weiter.“
Brief an Böll, S. 231-232
„Noch hält er's still, am Nacken, ganz oben in der Luft“
Romy
„Nicht schlecht, was? Die mussten noch ganz schön bluten...
Da kommt ja Annie. Annie, salut...“
Annie Ernaux
„Rosemarie, Rosemarie... Na, wieder in der Vergangenheit unterwegs? Salut. Mein Klingeln blieb ungehört, drum komme ich über den Garten rein. Wie geht es dir? Bonjour, Etienne.“
Etienne
Die alte Ernaux kommt auf Besuch, sieh an. Die beiden Damen sind seit längerem befreundet, sie kennen sich über die Arbeit in der Organisation
Tu n'es pas seule, der französischen Antwort auf #MeToo, in der sich glühende Feministinnen aus dem Literatur- und Filmgeschäft gegen Männerdominanz und sexistische Übergriffe vereinen.
Meistens bleibt Annie Ernaux länger.
Wunderbar! Nun kann der liebe Etienne in Ruhe das Menu für morgen zusammenstellen und einkaufen fahren.
Romy
„Annie, setz dich. Schön, dich zu sehen.“
Annie Ernaux
„Rosemarie, ich bin gerade auf Lesereise mit meinem neuen Buch, morgen in Rouen, da dachte ich – ich komme kurz vorbei.
Weißt du, wer seit letzter Woche der Organisation beigetreten ist? Das errätst du nie! [Romy erstaunt: „Na?“]
Charlotte Gainsbourg! [Romy, „Nein!]
Doch. Sie wurde beim letzten Dreh derartig oft und penetrant vom Kameraassistenten zum Essen eingeladen, dass sie sich genötigt sah, ihm am letzten Drehtag eine Ohrfeige zu geben. [Romy: „Das ist nicht wahr...“]
Naja, nun hat er sie verklagt - und prompt landete sie bei uns, um juristisch gut beraten zu sein. Jeder berühmte Name zählt, Rosemary.
Was sagst du dazu?“
Romy
„Also - zum Essen eingeladen zu werden, finde ich jetzt nicht wirklich eine Belästigung, aber wenn sie meint... Da gings bei uns noch ganz anders zu.
Die Kollegen Bellmondo, Delon, Perkins, Buchholz, Biasini und wie sie alle hießen... die ließen nix anbrennen. Naja, mit den meisten hatte ich ja dann auch ein Verhältnis.
Unterwerfen wollte ich mich ihnen, die starke Hand, die mich führt – gefunden werden vom mich bewundernden Prinzen.
Du, und die Regisseure waren auch nicht gerade zimperlich. Wenn ich überlege, wie oft mir Visconti am Körper entlang strich – vorne und hinten... Im Knast säße der heute deswegen!
Er quälte mich ja bei den Proben ins Unermessliche. Aber bei ihm lernte ich das Schauspielen erst richtig.
Der Beste war Claude, Claude Sautet. Der sah mich wirklich, erkannte mein Innerstes. Wir haben zusammen die Drehbücher entwickelt – wo gab es das schon damals?! So schade, konnten wir nicht zusammenbleiben...
...und jetzt sind sie alle verpufft - wie Löwenzahn im Wind.
Außer Delon, der schickt mir immer noch einmal im Monat einen Strauß Rosen. Wahnsinn, oder?
Annie Ernaux
„Mon Dieu, hör mir auf mit dem. Dass du dich je auf den einlassen konntest, ein Widerling in meinen Augen!“
Romy
„Nichts gegen Delon. Er war es schließlich, der mich aus diesem spießigen Deutschland weg von meiner unglücklichen Ehe wieder nach Paris holte mit „La Piscine“.
Wer weiß, wie es sonst gekommen wäre... Ich würde jetzt meinen Rollator durch das kleinbürgerliche Berlin-Grunewald schieben, umgeben von verbeigten Rentern! Quel horreur!
Oder - die Berliner Schaubühne hätte mich doch noch irgendwann engagiert, und Harry und David wären noch am Leben...“
Annie Ernaux
„Jetzt jammere nicht, Rosemarie. Du bist hier gesund und glücklich in deinem Haus und bekommst regelmäßig Besuch von deinen Lieben.
Wann wird eigentlich dein Buch fertig?“
Romy
„Es ist beim Lektorat, morgen rufe ich den Verlag an.
Komm, lass uns rein gehen, es wird kühl.
Etienne hat sicher das Souper vorbereitet. Und es gibt Wein.“
„Beginner“
für Sommerhitserie von KulturStattBern@Der Bund-Blog, 06/16
Geilo, ich höre wieder Hip-Hop aus meiner zweiten Heimatstadt – die Beginner sind zurück. Und damit ein Teil meiner ersten Hamburg-Jahre in den 90ern, als die ganze nordische Hip-Hop-Szenerie gerade im Aufwind war und ich jung und schön!!!
Ich höre den Release-Song „Ahnma“ (feat. Gzuz & Gentleman) zum neuen Album „Advanced Chemistry“ und denke: Yo, da ist sie wieder, die für die Beginner typische Dicke-Hose-Gangsterrap-Hamburger-Schnack-Atitüde mit viel Humor (und der macht's erst akkustisch wertvoll) - das Gangster-Auge zwinkert heimlich vom schwarz-weissen Ghetto-Himmel runter. Mein ehemaliger Kiez will gerettet werden wie die Erinnerung an meine Zeit im Norden. Heimwehattacke, ich muss hoch!
„Ich komm mit grossem Herzen, dickem Kopf und kleinem Bauch, wortgewalttätig, aber masterpeacig drauf...“ - rausche mit dem Zug durch Regen-Nebelschauer über die Elbbrücken, yeah, Hamburg City rules, ich komme. Nach dem Rechten sehen, und nach den alten Freunden.
Zurück in Wahlheimat Nummer drei sehe ich mich bei den nächsten Sonnenstrahlen mit Baseballkappe und Sonnenbrille durch die Berner Altstadt schieben.
„Und die Sonnenbrille, sie ist am Start Baby, sie ist der letzte Rest Privatsphäre“. Noch Fragen, Digger? Ja, was bedeutet eigentlich „Ahnma“?
Tja, fahrt nach Hamburg, um es auszuchecken...
Ich bleib in Bern mit der kleinen Portion Hamburg im Ohr.
Das Video: http://www.beginner.de/section-video
Die Plattenankündigung: https://www.youtube.com/watch?v=WzFjX41qiXM